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Der Umgang mit lernenden Maschinensystemen und Künstlicher Intelligenz ist eine wichtige Bildungsaufgabe

Das Interview führt Gunnar Brune von AI.Hamburg | December 23, 2020

Prof. Dr. Sascha Spoun

Prof. Dr. Sascha Spoun | Foto: Leuphana

Prof. Dr. Sascha Spoun: „Die Künstliche Intelligenz fordert die Universität auf andere Weise heraus, als man im ersten Moment denken würde. Es kommt nämlich darauf an, die Kombination von menschlicher Intelligenz mit lernenden Maschinen näher zu betrachten.“

Sascha Spoun ist seit 2006 Präsident der Leuphana Universität Lüneburg und Gastprofessor für Universitätsmanagement an der Universität St. Gallen (HSG). Spoun ist außerdem Mitglied in einer Reihe von Kuratorien, Jurys und Verwaltungsräten.

Er studierte Wirtschaftswissenschaften (lic.oec. HSG, diplômé HEC Paris) und Politikwissenschaften (dipl.sc.pol.) in Ann Arbor (University of Michigan Business School), München, Paris (Sciences Po, HEC) und St. Gallen, wo er für zwei Jahre auch Präsident der Studierendenschaft war. Neben seiner Tätigkeit als Gastprofessor an der Universität St. Gallen lehrte er auch von 2004 bis 2010 an der Universität Zürich. Seine Forschungsarbeiten widmen sich dem Public Management sowie Zielen, Inhalten, Methoden und Ergebnissen der Hochschulentwicklung. An der Universität St. Gallen leitete er von 1999 bis 2006 das Reformprojekt “Neukonzeption der Lehre”, eine fundamentale Umstellung des Studiums auf Bachelor und Master sowie die Einführung verschiedener didaktischer und organisatorischer Innovationen.

 


 

Gunnar Brune/AI.Hamburg: Herr Prof. Dr. Spoun, an der Leuphana studieren für gewöhnlich Menschen. Lernen in Zukunft auch „lernende Maschinen“ an der Universität?

Prof. Dr. Sascha Spoun: Intelligente Maschinen können lernen. Siri ist ein Beispiel, das viele kennen werden. Das ist immer noch ein beeindruckendes, manche Menschen verängstigendes Instrument, das sie sich in ihrem Alltag zunutze machen können. Wenn nicht nur wir Menschen dynamische, veränderliche und entwicklungsfähige Wesen sind, sondern wenn wir diese Eigenschaften auch auf Maschinen übertragen können, dann haben wir eine Chance, mit der stetig wachsenden Komplexität unserer Welt besser umgehen zu können, bei allen offenen Fragen und Risiken, die daraus entstehen.

Gunnar Brune/AI.Hamburg: Das war eine große Zukunftsfrage zum Einstieg. Mal ganz einfach gefragt: Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz heute für eine Universität wie die Leuphana?

Prof. Dr. Sascha Spoun: Eine Auseinandersetzung mit lernenden Maschinen in Forschung und Lehre ist für Universitäten essentiell. Algorithmen haben schon in den letzten Jahrzehnten unsere Welt dramatisch verändert. Sie können Anwendungen darstellen, die viele Routineprozesse übernehmen und uns so bei Aufgaben, die extrem mühsam sind, unterstützen. Deshalb stellt der Umgang mit lernenden Maschinensystemen, Künstlicher Intelligenz, eine wichtige Bildungsaufgabe dar. Dabei geht es aber nicht nur um die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, sondern auch um die Reflexion dessen, was daraus im Weiteren folgen kann. Nehmen wir das Beispiel des autonomen Fahrens. Verursachen solche Systeme einen Unfall, eine Beschädigung, eine Körperverletzung, stellt sich die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt. Es geht also um das Nachdenken darüber, was es bedeutet, Künstliche Intelligenz in unserer Welt einzusetzen.

Gunnar Brune/AI.Hamburg: Fordert die Künstliche Intelligenz die Intelligenz an der Universität heraus?

Prof. Dr. Sascha Spoun: Natürlich ist es Aufgabe und Herausforderung für Universitäten, etwa den Einsatz Künstlicher Intelligenz für den Umgang mit großen Datenmengen zu verstehen und zu beherrschen. Aber, die Künstliche Intelligenz fordert die Universität auf andere Weise heraus, als man im ersten Moment denken würde. Es kommt nämlich darauf an, die Kombination von menschlicher Intelligenz mit lernenden Maschinen näher zu betrachten.

Gunnar Brune/AI.Hamburg: Und deshalb findet die Beschäftigung mit der AI an der Leuphana nicht nur in der Mathematik, den Ingenieurwissenschaften etc., sondern zum Beispiel auch in den Sozialwissenschaften statt?

Prof. Dr. Sascha Spoun: So ist es. Man könnte sagen, dass die Leuphana so etwas wie eine „grüne“ London School of Economics sein will. Ein Ort des Nachdenkens über solche Entwicklungen mit dem Ziel, die Verantwortung, die wir für die heutige und die zukünftige Generation tragen, immer mitzudenken.

Ich glaube, im Studium geht es wesentlich auch darum, zu erkennen, wer man selbst ist, mit welchen Sachverhalten man es zu tun hat und welche Bedeutung sie haben. Zu lernen, wie ich mich in einem Team bewege, wie ich mit Problemen umgehe, usw. Diese Geläufigkeit ist eine der Lernaufgaben für Studierende. Das gilt für alle Fächer. Zwar ist die Professionalisierung nach den Fächern verschieden, aber die fachunabhängigen grundsätzlichen Bildungs- und Entwicklungsaufgaben sind vergleichbar.

Gunnar Brune/AI.Hamburg: Ist es notwendig, sich mit Künstlicher Intelligenz „als Hausaufgabe“ an der Universität zu beschäftigen, oder ist die Aufgabe größer?

Prof. Dr. Sascha Spoun: Es ist beides. Das eine betrifft die Bildungsidee, die Bildungstraditionen, die Rollen der Universität, die Rollen der Wissenschaft und des Wissens insgesamt, usw.; das sind historische, systemische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Fragen. Die andere Aufgabe stellen die nicht gelösten und die noch zu erwartenden Probleme dar, die Zukunftsorientierung. Rückschau alleine reicht nicht.

Zentralgebäude

Zentralgebäude der Leuphana Universität, Foto Leuphana

Gunnar Brune/AI.Hamburg: Also ist es nicht die Künstliche Intelligenz, die uns herausfordert, sondern die Verantwortung…

Prof. Dr. Sascha Spoun: … für die Gesellschaft und für die Zukunft. Hier kann AI helfen, zum Beispiel bei Klimamodellen oder bei Fragen des Verlaufs von Pandemien und der Abschätzung ihrer Folgen. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.

Wie man mit Künstlicher Intelligenz umgeht, ist nicht eine Frage von „technical change“, sondern eine „adaptive challenge“. Ich muss die Fragen nach meinen Werten, meinen Kompetenzen, meinen Prinzipien, nach dem, was für mich handlungsleitend ist, stellen können und dann auch wissen, auf welchen Wegen ich sie zur Diskussion mit Dritten stellen und beantworten kann. Wenn wir Künstliche Intelligenz auch in diesem Sinne verstehen, entwickeln und beherrschen lernen, dann kann sie uns dabei helfen, den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

Gunnar Brune/AI.Hamburg: Herr Professor Spoun, vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview führt Gunnar Brune von AI.Hamburg


Gunnar Brune

Gunnar Brune ist Marketing Evangelist, Strategie- und Storytellingexperte. Er ist Unternehmensberater mit Tricolore Marketing, Storyteller mit Narrative Impact, Gesellschafter des NEPTUN Crossmedia-Awards, Autor und mehrfaches Jurymitglied für Awards in den Bereichen Marketing, Kommunikation und Storytelling. Weiterhin ist Gunnar Brune im Enable2Grow Netzwerk assoziiert und engagiert sich im Rahmen von AI.Hamburg für die Vermittlung der Möglichkeiten und die Förderung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz.

Gunnar Brune ist Autor von dem Marketing Fachbuch „Frischer! Fruchtiger! Natürlicher!” und dem Bildband „Roadside”. Er ist Co-Autor der Bücher: “DIE ZEIT erklärt die Wirtschaft” und “Virale Kommunikation” und er schreibt seit vielen Jahren regelmäßig für Fachmagazine. Seine Artikel finden sich u.a. in der Advertising Age (Fachmagazin Werbung USA), Horizont, Fischers Archiv und der RUNDSCHAU für den Lebensmittelhandel.

Kontaktinformation:

Gunnar Brune, gunnar@ai.hamburg, 0176 5756 7777

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