Andreas Wartenberg
Seit gut zehn Jahren gestaltet Andreas Wartenberg als Mitglied der Geschäftsführung die Hager Unternehmensberatung maßgeblich mit. Komplexität motiviert ihn. Darum arbeitet der Experte für Technologiemanagement und Digitalisierung so gerne mit Menschen. Sein Schwerpunkt liegt in der Personalberatung. Gerade auf den Führungsebenen treffen unterschiedlichste Charaktere aufeinander. Das birgt enorme Chancen, aber auch nicht zu unterschätzende Konfliktpotenziale. Deshalb ist die Frage der Beurteilung der Passgenauigkeit und Fähigkeit eines Kandidaten ein zentrales Element für die Personalberatung.
Aktuell beschäftigen sich die Hager Unternehmensberatung und Andreas Wartenberg im Rahmen einer Studie intensiv mit der Zukunft von Executive Search und damit auch mit der Rolle von Künstlicher Intelligenz bei der Personalsuche und Personalentscheidungen.
Mit Andreas Wartenberg von der Hager Unternehmensberatung sprach Gunnar Brune vom Netzwerk AI.Hamburg.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Andreas Wartenberg, was machen Sie und was machen Sie mit Künstlicher Intelligenz:
Andreas Wartenberg: Die Hager Unternehmensberatung ist eine der größten Personalberatungen Deutschlands mit 100 festangestellten Mitarbeitern. Wir sind fokussiert auf das Top- und Middle-Management. Die Vermittlung erfolgt im Modus der Direktsuche. Für uns geht es darum, Kandidaten zu finden, zu evaluieren und zu beurteilen und dem Kunden die bestmöglichen und passendsten Kandidaten für die Vakanzen vorzustellen. Hierbei ist es wichtig, nicht nur eine fachliche, technische und handwerkliche Passung vornehmen zu können, sondern auch eine Persönlichkeitspassung: Wer passt zu wem auf einer interpersonellen Ebene und wer passt in welche Unternehmenssituation hinein – Stichwort Kultur. Oder auch: Wer passt in eine bestimmte Führungsaufgabe: Return on Investment, neue Wachstumsstrategien/Etablierung neuer Services, Herunterfahren/Konkurs verwalten. Das sind sehr unterschiedliche Szenarien, in die Unternehmenseinheiten oder Businessunits geraten können. Keine Person hat alle Fähigkeiten, um alle Aufgaben zu lösen. Deswegen ist die Anforderung an die von uns zu findenden Personen oftmals sehr individuell und mit dem Unternehmen, den Teams und den handelnden Personen verbunden.
Um diese Passfähigkeit herzustellen, wird in den nächsten Jahren natürlich verstärkt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erwartet. Es gibt schon einige bestehende Anwendungen und immer mehr neue Software-Tools und Lösungen, in die AI integriert wird und wo verschiedene Aufgaben mit AI gelöst werden. Deswegen ist es für uns entscheidend, uns mit diesen Themen und Technologien auseinanderzusetzen. Zum einen, um zu wissen, was es gibt, welche Technologien und Lösungen, Softwareprodukte und Services für uns adaptierbar sind oder sogar genau für unsere Branche erschaffen wurden. Zum anderen, um zu erfahren, welchen Mehrwert man mit ihnen tatsächlich generieren kann.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Können Sie uns ein Beispiel für Künstliche Intelligenz nennen, mit der Sie wirklich täglich arbeiten?
Andreas Wartenberg: Zu den Anwendungen, die heute schon Künstliche Intelligenz integriert haben, zählt das Personal-Suchmaschinen-Portal LinkedIn. Ganz besonders das Produkt „LinkedIn-Recruiter“. Das ist ein sehr vermenschlichter Service. Es ist ein Tool, das Personalberater und Headhunter auf der ganzen Welt nutzen. Über dieses spezielle Suchtool hat man mehr Suchmöglichkeiten als der normale LinkedIn-Lizenznehmer. Zum Beispiel sind die Fundstellen, also die Suchergebnisse, bereits von AI vorsortiert. Wenn ich ein Stichwort wie Wechselwahrscheinlichkeit angebe, dann wird diese mit Hilfe der AI prognostiziert und ich kann die Ergebnisse danach sortieren. So etwas geht heute mit Künstlicher Intelligenz schon sehr gut.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Was ist für Sie das aktuell spannendste AI-Projekt der Hager Unternehmensberatung?
Andreas Wartenberg: Bei uns gibt es verschiedenste Handlungsstränge. Es gibt nicht ein Projekt allein, mit dem wir uns beschäftigen, denn Künstliche Intelligenz wird bei uns große Innovationskraft entfalten. Es gibt und wird neue Werkzeuge und Services geben, die Dinge möglich machen, die bisher nicht möglich waren. Ich gebe Beispiele: Nehmen wir das Thema Gesichtserkennung. In der Personalberatung geht es nicht allein darum, eine Person zu identifizieren. Wir wollen wissen, wann sie lügt, wann sie die Wahrheit sagt, unsicher ist, flunkert, sich aufs Glatteis bewegt oder übertreibt. Das sind alles Dinge, die man am Gesicht, an der Gesichtssprache ablesen kann. Es gibt sehr wenige Menschen in der Welt, die das persönlich können, sie beobachten dafür Merkmale im Gesicht, die Regungen der Gesichtsmuskulatur: Wann die Augenbrauen hoch gezogen werden, wann die Mundwinkel herunter gehen, sie achten grundsätzlich auf den Gesichtsausdruck an bestimmten markanten Punkten eines Menschen als Reaktion auf bestimmte Fragen. Heute macht man das mit einem videogestützten Interview, das von AI analysiert wird.
Wir können uns also durchaus gegenübersitzen, aber die Kamera zeichnet das Gesicht meines Gegenübers auf und dort läuft eine Software, welche die Auswertung macht. Das geht nur über AI in Verbindung mit Big Data – wie fast alle AI-Lösungen mit Big Data im Zusammenhang stehen. Hast Du kein Big Data, dann ist AI nicht die Hälfte wert, denn Du brauchst dafür einen großen, großen Datenpool.
Künstliche Intelligenz wird möglich machen, was bisher nicht möglich war. Sie wird das Vergleichen von vielen tausend Bewerbungsunterlagen im Detail möglich machen. Nehmen wir das Anschreiben, die Wortwahl, die Satzstellung, die Formulierungen. Sie geben Aufschluss darüber, mit welcher Persönlichkeit ich es zu tun habe. Ist das jemand, der selbstsicher ist und frei schreiben kann, ist das jemand, der auf Formalien achtet, ist das jemand, der irgendwelche Texte aus anderen Anleitungen kopiert hat, sind 08/15-Standardsätze darin oder ist es individuell? Ist der Bewerber mutig, nimmt er gewagte, also herausfordernde Vokabeln, hat er Fragezeichen oder Ausrufesätze in seinem Anschreiben? Oder ist das eher das Lamm, das sich anbietet, das sagt: „Ich bin ein/e treuer/e Gefolgsmann/-frau, deswegen schreibe ich auch so, wie ich schreibe.“ Big Data in Verbindung mit AI macht es möglich, genau das auch bei großen Mengen von Bewerbungen herauszufiltern und zu fragen, was dabei herauskommt.
Das waren zwei Beispiele für das Thema AI in der Personalsuche, ein weiteres Thema sind Chatbots. Wir alle kennen das Google-Beispiel des Friseurtermins, der telefonisch mit einem sprechenden Chatbot vereinbart wird. Das funktioniert in gewissem Maße auch bei einem Pre-Screening, also in der anbahnenden Interviewphase. Oder beim Erstkontakt mit einem Kandidaten: Auch hier wäre es möglich, intelligente, sprechende Chatbots im Online-Service zu schalten und eine erste Auswahl der Kandidaten nach zuvor definierten Fragen durchführen zu lassen.
Wo macht das Sinn? Das wird heute schon getan. Und zwar dort, wo man eine Vielzahl von Bewerbern auf eine geringere Anzahl von Stellen hat. Zum Beispiel, wenn ein großes Telekommunikationsunternehmen ein neues Callcenter in einer Geographie dieser Welt eröffnen möchte. Dann kann es sein, dass für 100 Stellen 800 Kanditen interviewt werden müssen. Dies durch einen Chatbot machen zu lassen, erspart viele menschliche Ressourcen und natürlich Geld.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Aber das wird bei der Suche nach einem Vorstandsvorsitzenden doch nicht eingesetzt? Wo bringt Künstliche Intelligenz hier einen Mehrwert?
Andreas Wartenberg: Das wird bei Vorstandsvorsitzenden vermutlich nie eingesetzt werden, weil wir dort nicht die Situation haben, dass wir eine Vielzahl von Kandidaten haben, weil wir nicht in einem Massen- und Volumenbereich unterwegs sind und deswegen über diese Technologien abfiltern. Aber: Im Grenzbereich gibt es viele Technologien, bei denen man von unserer Seite schon überlegen muss, was damit zu leisten wäre. Wenn ich den AI-getriebenen Chatbot nicht in der Pre-Selection einer Auswahl nutzen kann, so kann ich ihn aber vielleicht trotzdem als global agierendes Unternehmen für Standardanfragen einsetzen. Unternehmen bekommen ja auch Initiativbewerbungen en masse. Und wenn wir über die aktuelle Situation sprechen wollen: Wenn eine Pandemie, zu einer Massenarbeitslosigkeit führt, dann werden auch viele Menschen aus der Arbeitslosigkeit heraus an allen möglichen Stellen suchen, um sich neu zu bewerben und zu positionieren.
Mit AI-unterstützten Tools können wir Personalberater einen unerwarteten Ansturm bewältigen, ohne die internen Ressourcen zu blockieren. Das gilt natürlich auch für Unternehmen. Wenn ein großer Automobilhersteller viele Menschen entlässt, dann werden sich die Menschen bei einem anderen Automobilhersteller bewerben, insbesondere, wenn eine örtliche Nähe gegeben ist. Zum Beispiel in Süddeutschland. Dann könnte man schon überlegen, ob ein derartiges Chatbot-Tool Sinn macht, um vorzuselektieren.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Das sind spannende Möglichkeiten für die ganze Welt der Personalsuche und Personalberatung. Sie beschäftigen sich mit der Personalberatung für die Führungskräfte von Unternehmen. Was dürfen wir hier in naher Zukunft von Künstlicher Intelligenz erwarten?
Andreas Wartenberg: Wie schon gesagt gibt es nicht „das eine“ Projekt, an dem wir gerade arbeiten. Wir sind vielmehr in einem Scouting- und Screening-Prozess, in dem wir uns verschiedene Tools anschauen. Übrigens auch Tools, die das Thema Matchmaking neu gestalten. Das ist ein sehr spannender Bereich, wo AI in Zukunft in verschiedener Form eingesetzt werden wird. Ich stelle eine Stellenbeschreibung in mein AI-Tool und das Tool sucht selbständig in verschiedenen Portalen über eigene AI-getriebene Verschlagwortung. Oder wir gehen noch eine Stufe weiter: Ich schalte dem AI-Tool mein aktuelles Team für meine Top-Management-Ebene frei, von den Kandidaten, von denen ich weiß dass das Führungskräfte sind, mit denen ich zufrieden bin. Das AI-Tool sucht in den Portalen, die es in dieser Welt gibt nach anderen Kandidaten, die gut zu meinen Performern passen und schlägt mir diese vor. Das ist ein Matchmaking, das natürlich notwendig ist und in dieser neuen Form Prozesse bei uns verkürzt.
In diesem Bereich arbeiten wir mit einem Startup eng zusammen, um diesen Weg gemeinsam zu gehen. Die Idee ist, die Stellenbeschreibung direkt in das Tool zu geben. In einem Bruchteil von Sekunden wird diese vom Tool erfasst und verschlagwortet. Dann werden unsere Datenbank und externe Datenbanken wie z.B. LinkedIn oder XING damit durchsucht. Das erspart erheblich manuelle Arbeit, denn es gibt oft verschiedene relevante Schlagwortkombinationen: Head of Creative, Creative Director, Chief Creative Officer etc. Diese müssen in der manuellen Arbeit in den verschiedenen Quellen recherchiert werden, was zu mehreren Listen führt, die dann wieder manuell abgeglichen werden müssen. Hier kommt die maschinelle Suche viel schneller auf eine relevante Auswahl von Kandidaten in einer einzigen Liste. Aktuell muss die Maschine dafür noch relativ eng geführt werden, aber schon jetzt ist der Prozess sehr viel schneller und versetzt den Berater in eine Position, den Kunden besser beraten zu können.
Das ist aber nur eins von verschiedenen Projekten. Die Themen mit zusätzlicher Analyse wie Gesichtserkennung oder Auswerten von Anschreiben haben einen ganz großen Stellenwert und Charme für uns, weil es zusätzliche Informationen sind, um den Kandidaten zu beurteilen. Neben Fragetechniken, neben Interviewtechniken, neben Lebenslaufanalysen, neben Referenzen, die wir einholen können sind dies ergänzende Informationen, die uns weiterhelfen bei der Beurteilung von Personen. Und das ist bei uns der zentrale Punkt: die Beurteilung von Personen und ihrer Passfähigkeit auf Unternehmen, auf Funktionen, Teams und Kulturen, die ja schon vorhanden sind.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Das heißt, Sie sind besser in der Identifikation von Kandidaten und in der Beurteilung ihrer spezifischen Eignung.
Andreas Wartenberg: Zumindest geht es damit schneller und es gibt zusätzliche Informationen über die Person.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Wie ausgereift sind diese Lösungen, von denen Sie gesprochen haben?
Andreas Wartenberg: Alle die Unternehmen und Beispiele, die ich zuletzt genannt habe, sind Unternehmen im Startup-Modus. Wir beschäftigen uns mit diesen Unternehmen, wir scouten das, wir versuchen diese Dinge einzusetzen. Ganz konkret muss man auch sagen, dass es noch eine Zeitlang dauern wird, bis das Video-basierte, AI-ausgewertete Gesichtsauslese-Interview Standard wird. Das AI-unterstützte Auswerten der Bewerbungsanschreiben geht vermutlich schneller, und noch schneller wird das Thema Matchmaking gehen.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Das heißt, die aktuelle AI-Anwendung findet vorrangig im Rahmen der großen Such-Portale statt. Und sie scouten aktiv, wann sie ganz neue Lösungen in ihre Arbeitsweisen einbetten können?
Andreas Wartenberg: Ja und nein. Es gibt die großen Portalbetreiber, z. B. LinkedIn. Die werden viele dieser Themen bald selbst anbieten und auf die Beine stellen. Und es gibt parallel dazu sehr, sehr viele HR-Tech-Startups, die auch ganz viele andere Ideen haben, wozu AI noch in der Lage ist. Natürlich ist die Frage, wer von denen eigenständig zu bleiben wird und wer sich von einem großen Portalbetreiber oder einem anderen großen Technologieanbieter integrieren lässt.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Wie weit sind Sie in die Technologien involviert, auf denen diese Innovationen aufbauen. Künstliche Intelligenz nutzt in hohem Maße Machine Learning. Sind Sie dabei, wenn die Algorithmen trainiert werden?
Andreas Wartenberg: Das ist unterschiedlich. Meistens nicht. Wenn man früh in die Entwicklung als Partner einsteigt, ist man oft auch ein Datenlieferant und damit ein „Mit-Trainierer“ von Algorithmen. So gibt es im Matchmaking ein deutsches Startup, mit dem wir exklusiv zusammenarbeiten, um die Lösung umfassend mit unserer eigenen Datenbank zu integrieren. Dann wird anhand der Stellenbeschreibungen in der eigenen Datenbank und den externen Portalen in Sekundenschnelle nach geeigneten Kandidaten gesucht. Das ist ein Thema, wo wir in einem sehr frühen Versuchsstadium mit einsteigen. Und diese Zusammenarbeit hilft natürlich auch dem Startup mit dieser Technologie – hier nochmal das Stichwort Big Data – Big Data sinnvoll auszuwerten. Bei anderen Themen wie der Videoanalyse sind wir eher zurückhaltend. Bei unseren Gesprächen ist das Problem, dass die Kandidaten oft sehr offen mit uns über ihre Karriere, ihr Leben, individuelle Wünsche, Erfolge und auch Misserfolge sprechen und dabei verständlicherweise wenig Interesse haben, an solchen Versuchen für neue Technologien teilzunehmen. So eine Auswertung von Big Data und Videodaten erfolgt ja auch oft entfernt bei Startups in Amerika. Wir sind deshalb darauf angewiesen, dass diese Startups mit Kandidaten aus ihren eigenen Kulturen und anderen Menschen oder Aufgabenstellungen ihre Tools weiterentwickeln.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Wieviel Einblick haben Sie in den mathematischen Teil der Künstlichen Intelligenz, die Auswahl der Algorithmen und mathematischen Modelle?
Andreas Wartenberg: Das läuft außerhalb von uns. Wir sprechen nicht über die einzelnen Algorithmen, wir sprechen mehr über die Aussagekraft der Ergebnisse und ob die wissenschaftlich validiert sind. Welcher Algorithmus hinter einer Gesichtserkennung steht ist für uns nicht relevant. Für uns ist relevant, ob es andere Universitäten oder Wissenschaftler gibt, die bestätigen, dass das validiert und verlässlich ist.
Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Schon vor Jahrzehnten hat man begonnen, graphologische Gutachten für die Beurteilung von Persönlichkeiten heranzuziehen. Das hat sich aber nie richtig durchgesetzt. Dennoch gibt es Wettbewerber, die das regelmäßig durchführen. Man muss bei allen Methoden schon sehen: Nicht alles, was man zählen kann, zählt, aber vieles, was man nicht zählen kann, zählt. Nicht alles, was ich mit AI und Big Data erfassen kann, ist relevant, und vieles was ich damit nicht erfassen kann, ist relevant.
In diesem Zusammenhang wird oft die Frage gestellt „Wird uns die Technologie irgendwann ersetzen?“. Kommt es dazu, dass es eines Tages keine Personalberater mehr braucht, weil die AI-gestützten Systeme alles von alleine lösen? Nein. Das wird nicht passieren. Weil es eben auch eine Menge Dinge gibt, die man über KI überhaupt nicht evaluieren kann und die trotzdem wichtig sind. Zum Beispiel: Sympathie. Ich kann mit jemandem extrem gut zusammenarbeiten und Erfolge erzielen, obwohl er vielleicht nicht vom Lebenslauf und der statistischen Auswertung die besten Voraussetzungen für diese Position mitbringt. Vielleicht auch nur, weil ich es will, weil ich das Gefühl habe, dass wir beide das miteinander können. Das sind Dinge, die mir eine AI nicht abnehmen kann. Computer können ausführen, was wir ihnen beigebracht und trainiert haben, doch das ist immer begrenzt. Wir dagegen können weiter denken. Sämtliche Big Data- und AI-gestützten Verfahren werden daher in unserem Bereich immer ergänzend sein, aber nie ersetzend.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Wird es Bereiche der Personalberatung geben, die zu einem höheren Teil durch Künstliche Intelligenz geprägt sind und Bereiche, die weniger Anteile davon haben?
Andreas Wartenberg: Durch die Künstliche Intelligenz erhalten wir ein tieferes Bild einer Person, das uns erlaubt, eine bessere Beurteilung zu treffen. Damit ist klar, dass alles, was aus dem Computer kommt, noch einmal überarbeitet und beurteilt werden sollte. Wahrscheinlich ist es so, dass je höher der Verantwortungsbereich der Position angesiedelt ist, je komplexer der Verantwortungsbereich ist, desto stärker wird der Mensch mit einbezogen werden. Je niedriger die Position oder begrenzter das Verantwortungsspektrum ist, desto eher kann ich die Beurteilung über Technologie abbilden. Die Anforderungen an einfache Positionen, was die Individualität von Menschen und die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen angeht, ist etwas geringer. Hier zählen fachliche und handwerkliche Merkmale etwas mehr. Je weiter oben die Positionen angesiedelt sind, desto wichtiger werden andere als die fachlich handwerklichen Qualifikationen. Der CEO eines internationalen Unternehmens muss nicht zwingend aus der gleichen Branche kommen. Das ist das, worüber ich gerade spreche.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Ihre Branche ist geprägt von Menschen, die Menschenkenntnis verkaufen. Müssen Sie in Zukunft Menschenkenntnis und ein Verständnis des Kollegen Computer zusammenbringen, um zu der besten Empfehlung zu gelangen?
Andreas Wartenberg: Ja, wir bringen das zusammen, wir werden in Zukunft das Thema Beurteilungsfähigkeit von Menschen durch weitere Informationen und Fakten des Kollegen Computer anreichern. Ich denke, wir sollten immer einen kritischen Blick haben, auch wenn Informationen von einer Künstlichen Intelligenz kommen.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Ihr Unternehmen setzt sich intensiv mit Künstlicher Intelligenz auseinander. Was empfehlen Sie denen, die dies noch nicht tun: z.B. einem Personalchef, der sich noch nicht traut oder einem Personalberater, der weiter nur auf die persönliche Arbeit setzt?
Andreas Wartenberg: Anfangen und loslegen. Technologischer Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Man muss anfangen und Chancen sehen. Sich fragen: Was kann das bedeuten und was kann das für mich bringen? Was man nicht macht, machen andere. Das heißt nicht, alles adaptieren und alles einsetzen. Das heißt schauen, welche Chancen sich für mich bieten.
Es gibt viele in unserer Branche, die sagen, dass Künstliche Intelligenz eine große Gefahr ist, die viele in unserer Branche deklassiert oder vielen das Leben schwer macht, weil Unternehmen Personalsuche auf einmal ganz alleine können. Das glaube ich nicht. Ich glaube, AI bietet uns zusätzliche und ergänzende Hilfsmittel, die wir verpflichtet sind, gut und geschickt einzusetzen. Denn dann haben wir einen Vorteil und haben unsere Chancen genutzt. Aber wir müssen damit anfangen.
Gunnar Brune/AI.Hamburg: Was planen sie als Nächstes?
Andreas Wartenberg: Wir haben zwei bis drei Themen an denen wir arbeiten. Ich freue mich auch auf die ganz neuen Themen, die auf uns zukommen. Wie schon gesagt, arbeiten wir bereits mit verschiedenen AI-Lösungen. Wir haben eine sehr spannende Zusammenarbeit mit einem Startup im Bereich Matching mit AI.
Weiterhin haben wir ein Scouting-Team gebildet, das seit Anfang des Jahres die Welt nach weiteren innovativen Technologien screent: Was gibt es da draußen, was kann in unserer Branche Sinn machen, was ist schon direkt für unsere Branche vorgesehen? Wir sehen schon jetzt, dass da sehr spannende Themen herauskommen.
Nicht zuletzt setzen wir uns intensiv mit der Zukunft der Personalberatung/Executive Search auseinander und arbeiten zu dem Thema an einer Studie, zu der wir auch externe Experten hinzuziehen. Wir fragen dabei: Wie wird gesucht? Was wird gesucht? Über wen wird gesucht? Wie wird das in Zukunft aussehen? Dabei wird das Thema Künstliche Intelligenz auch eine ganz zentrale Rolle spielen, weil die Zukunft ohne dieses Thema nicht stattfinden wird. Auf die Ergebnisse dieser Studie bin ich deshalb ganz besonders gespannt.
Das Interview führt Gunnar Brune von AI.Hamburg
Gunnar Brune
Gunnar Brune ist Marketing Evangelist, Strategie-und Storytellingexperte. Er ist Unternehmensberater mit Tricolore Marketing, Storyteller mit Narrative Impact, Gesellschafter des NEPTUN Crossmedia-Awards, Autor und mehrfaches Jurymitglied für Awards in den Bereichen Marketing, Kommunikation und Storytelling. Weiterhin ist Gunnar Brune im Enable2Grow Netzwerk assoziiert und engagiert sich im Rahmen von AI.Hamburg für die Vermittlung der Möglichkeiten und die Förderung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz.
Gunnar Brune ist Autor von dem Marketing Fachbuch „Frischer! Fruchtiger! Natürlicher!“ und dem Bildband „Roadside“. Er ist Co-Autor der Bücher: “DIE ZEIT erklärt die Wirtschaft” und “Virale Kommunikation” und er schreibt seit vielen Jahren regelmäßig für Fachmagazine. Seine Artikel finden sich u.a. in der Advertising Age (Fachmagazin Werbung USA), Horizont, Fischers Archiv und der RUNDSCHAU für den Lebensmittelhandel.
Kontaktinformation:
Gunnar Brune, gunnar@ai.hamburg, 0176 5756 7777